Stichwort Buchdorf
Vorbild aller heute weltweit noch existierenden Buchdörfer war der kleine walisische Ort Hay-on-Wye, der als „book town“ im Jahre 1961 von Richard Booth gegründet wurde. Seine Idee war es mit einem größeren Bestand an gebrauchten, nicht primär antiquarischen Büchern, Buchinteressierte in den Ort zu locken um diese denen zum Kauf anzubieten. Da dieses Geschäft bald florierte, folgten seiner Idee zahlreiche Gleichgesinnte und im Ort gab es binnen weniger Jahre mehr als zwanzig seinem Vorbild nachempfundenr Buchgeschäfte und Antiquariate. Den bibliophilen Kunden folgten Sammler und neugierige Touristen, die ihrerseits die Infrastruktur des Ortes hinsichtlich Übernachtungsmöglichkeiten, Gastronomie, Kunsthandwerk und Fremdenverkehr zusätzlich belebten.
Im ersten Buchdorf der Welt existieren heute noch immer rund vierzig Buchgeschäfte und Hay-on-Wye gilt als Hauptstadt des Handels mit gebrauchten Büchern (The capital of the second-hand book trade).
1984 entstand auf Initiative von Anselm Anselot im belgischen Redu das zweite Buchdorf der Welt und gleichzeitig das erste auf dem europäischen Festland. Diesem folgten 1988 Becherel und 1990 Montolieu in Frankreich, 1993 das niederländische Bredevoort und Saint-Pierre-de-Clages in der Schweiz sowie 1996 Fjaerland in Norwegen und Fontenoy-la-Joute wieder in Frankreich.
In Deutschland entstand mit Mühlbeck-Friedersdorf das erste Buchdorf 1997 und nur wenige Monate später erfolgte die Gründung eines weiteren, der ersten Deutschen Bücher– und Bunkerstadt Wünsdorf nahe Zossen südlich von Berlin.
Mühlbeck (Buchdorf)
liegt als Ortsteil der Gemeinde Muldestausee im Landkreis Anhalt-Bitterfeld auf einer Landzunge zwischen dem Bernsteinsee als Teil des 2018 frisch gekürten schönsten Sees des Bundeslandes Sachsen-Anhalt, der Goitzsche im Westen und dem Muldestausee im Osten. Gemeinsam mit dem unmittelbar benachbartem Ort Friedersdorf war Mühlbeck 1997 Gründungsgemeinde des ersten deutschen Buchdorfes, das auf Initiative des zuvor gegründeten Fördervereins Buchdorf Mühlbeck-Friedersdorf e.V. entstand.
Letzterer stellte vor zwei Jahrenb nach mehr als zwanzigjähriger Tätigkeit durch Beschluss der Mitgliederversammlung seine Tätigkeit ein und wurde am 17. Mai 2018 offiziell im Vereinsregister des Amtsgerichtes Stendal gelöscht. Dies war praktisch gleichbedeutend mit dem Ende des Buchdorfes in seiner ursprünglichen Form, denn der Förderverein war in den zurück liegenden Jahren ja dessen offizieller und öffentlichkeitswirksamer Träger.
Auf dem Höhepunkt seiner gedeihlichen Entwicklung gab es im Buchdorf fünfzehn buchdorftypische in ihren Sortimenten auf jeweils bestimmte Themen spezialisierte Gebrauchtbuchgeschäfte (bezeichnet als Antiquariate mit fortlaufenden Nummern).
Leider hatte bereits noch vor der Jahrtausendwende die damalige Vereinsvorsitzende genau dieses Buchdorfkennzeichen durch einen hemmungslos eigennützig orientierten Zugriff auf Spendenbücher verworfen und für ihren Privatladen Bücher-consum das Sortiment „Bücher von A bis Z – von Archäologie bis Zoologie“ eingeführt. Nachteilig für die anderen vor Ort tätigen Händler ersetzte sie auf diese Weise für jedermann sichtbar Klasse durch Masse, wobei die Masse völlig überflüssigerweise auch noch mit „Trödel und Kram“ vergrößert wurde und damit den Buchdorfgedanken zusätzlich mit einem Angebot auf unterstem Flohmarktniveau entwertete. Die so vollzogene sichtbare Abkehr vom ursprünglichen Buchdorfgedanken stellt sich aus heutiger Sicht und im Nachhinein betrachtet als der Anfang vom Ende des ersten deutschen Buchdorfes dar, da als Folge dieser Entscheidung weitere Händler es ihr gleichtaten, indem auch sie ihre bis dahin gepflegte kundenfreundliche thematische Spezialisierung und damit eine der Buchdorfgrundideen aufgaben und ihre angebote auf möglichst viele Themenbereiche ausweiteten.
Ein sich dazu in den letzten zwanzig Jahren stark verändernde Büchermarkt und die nur noch eigennützig orientierte Umsatz-Interessenverfolgung einzelner Händler, sowie der damit einhergehende endgültige Verlust des in der Gründungszeit stark vorhandenen Gemeinschaftsgefühls, führten in den Folgejahren zu einem kontinuierlichen Rückgang der Anzahl der Geschäfte. Heute existieren so nur noch im Ortsteil Mühlbeck der Gemeinde Muldestausee solche an vier Standorten. Dabei handelt es sich um die Antiquariate Bär und Gödicke in der alten Schule (Dorfplatz 15), unser Antiquariat Girev im ehemaligen Pfarrhaus (Dorfplatz16), die "Buchdorf Erlebniswelt Dehne" im ehemaligen Dorfkonsum (Dorfplatz 21) und das Antiquariat Gebhardt an der B100 (im Ort) Karl-Marx-Straße 26.
Mit einem vorhandenem Gesamtbestand von etwa 200000 Bänden laden alle noch immer zu einem Besuch des Ortes ein, denn noch gibt hier gebrauchte und antiquarische Bücher für jedes Interesse und jeden Geschmack, auch wenn von einem "Buchdorf" im Sinne des Vaters aller Buchdörfer Rrichard Booth keine Rede mehr sein kann..